von
E. J. Marey
Aus dem Französischen übersetzt
von Dr. A. von Heydebreck.
Berlin.
MAYER & MÜLLER
1893.

Neue Methode zur Analyse der Bewegungs - Erscheinungen im Gebiete der Physik und der Naturkunde.

Die Fortschritte der Naturwissenschaften stehen im genauesten Verhältniss zur fortschreitenden Schärfe der Beobachtungs - Methoden und der Mess-Instrumente.

waage

Der Wage, dem Thermometer und Manometer verdanken Physik und Chemie jenen Charakter der Exactheit, den wir heute an ihnen bewundern.<

manometer

All' jene Instrumente bestimmen aber zunächst nur den statischen Werth der Kräfte , die sie zu messen haben-. die Wage gibt das augenblickliche Gewicht eines Körpers an, indem sie denselben mit bekannten Gewichten in's Gleichgewicht setzt; ebenso lässt das Manometer den Druck eines Gases dem Druck der Quecksilbersäule das Gleichgewicht halten.

manometer

Allein in ihrer ursprünglichen Gestalt wären diese Instrumente unfähig, die Veränderungen auszudrücken, wie sie jeden Augenblick mit dem Gewicht einer verdunstenden Flüssigkeit mit dem Druck eines Gases vorgeben, dessen Temperatur nicht dieselbe bleibt. Und so hat man denn auch, um den fortwährenden Intensitäts-Wechsel messen zu können, dem jede Kraftwirkung in der Natur unterliegt, auf neue Instrumente, die sogenannten Registrir-Apparate, sinnen müssen, mit deren Hilfe es gelingt, all jene Veränderungen des Gewichts, des Drucks, der Temperatur, der elektrischen Spannung u.s.w., graphisch darzustellen, in Gestalt mannigfach undulirender Curven. Diese Apparate sind es, welche den Meteorologen in den Stand setzen, auf jedem Punkte des Erdballs den wechselnden Zuständen der Atmosphäre zu folgen, die den Physiologen befähigen, die leisesten Änderungen des Blutdrucks, der Muskelspannung, der Körperwärme zu verzeichnen.

Nun tragen alle Naturkörper gewisse äussere Merkmale
an sich, über die unser Auge uns genugsam belehrt, so Iange dieselben sich nicht in einer Weise verändern, die jede direkte Beobachtung unmöglich macht. Gestalt und Grösse der Körper, ihren Ort im Raum, - das alles wissen wir in der Ruhelage sehr wohl zu beurtheilen, ja wir besitzen sogar seit unvordenklichen Zeiten die Kunst, diese äusseren Merkmale zeichnerisch festzuhalten. Allein nur zu oft erweist sich dies mühsame Darstellungs-Mittel als unzulänglich, da es auch solche Objecte nur stationär wiedergeben kann, die in einem fortwährenden Gestalt- und Orts,-Wechsel begriffen sind.

Aber auch die Darstellung unbeweglich ruhender Objecte, zur Vollendung ist sie erst durch die Photographie gebracht worden, deren Bild den Gegenstand im zartesten Detail wiedergiebt und dabei jeder beliebigen Vergrösserung und Verkleinerung fähig ist, mit einer Genauigkeit, wie sie jedem andern Verfahren unerreichbar bleibt. Und so ist sie für manche Wissenschaften bereits zur mächtigsten Bundesgenossin geworden, wie denn die Naturgeschichte z.B. ihrer Hülfe kaum mehr entrathen kann. Und äusserst glücklich hat unser gelehrter College, Hr. Janssen, das Wesen der photographischen Platte gekennzeiebnet, wenn er sie die Netzhaut des Forschers nennt.

Nun, eben diese wundersame Netzhaut, die in kürzester Zeit den äusseren Eindruck ruhender Objecte in sich aufnimmt und nach seiner ganzen Eigenthümlichkeit dauerhaft fixirt, sollte sie nicht auch im Stande sein, das Eigenartige der Bewegung zu fassen und fixiren? Sollte der Apparat des Photographen sieh nicht irgendwie der Zahl jener Registrirapparate anreihen lassen, welche das Natur-Phänomen uns auch da übermitteln, wo der Stoff in fortwährender Bewegung, die Kräfte in fortwährender Thätigkeit begriffen sind?

Diese Frage lässt sich heutzutage mit Ja beantworten, und wir hoffen zu zeigen, dass die Photographie, richtig verwendet, geeignet ist, uns über all' die Bewegungen auf's Genaueste zu unterrichten, denen unser Auge nicht, folgen kann, weil, sie entweder zu schnell oder zu langsam oder zu verwickelt sind. Das hierzu dienende Verfahren, das wir sogleich näher beschreiben werden, nennt sich Chronophotographie.

Betrachten wir die physiologisehe Eigenthümlichkeit des menschlichen Auges, so sehn wir, dass es vom optischen Gesichtspunkt einen photographischen Apparat darstellt mit seinem Objectiv und seiner dunkelen Kammer, dessen Verschluss die Lider bilden, während die Netzhaut, auf der sich die Bilder der äusseren Gegenstände malen, die empfindliche Platte vorstellt. Und in der That besitzt diese Netzhaut bis auf einen gewissen Grad alle Eigenschaften der photographischen Platte. Denn die auf ihrer Fläche entstehenden Bilder haben, wie Boll das am Auge ebengeschlachteter Thiere nachgewiesen, eine gewisse Dauer, so dass unser Sehen hiernach als ein Gewahren von im Auge befindlichen Photographien zu fassen wäre. Flüchtig zwar und nicht dauerhaft wie die Bilder des photographischen Apparats sind die Netzhautbilder trotzdem haben auch sie auf kurze Zeit Bestand und verlängern so scheinbar die Dauer des Licht-Phänomens, dem sie ihre Entstehung verdanken.

Angenommen, wir befinden uns im Dunkeln und nichts zeigt sich, den Sinn unseres Auges zu erregen, als ein leuchtender Punkt oder ein einziger hellbeleuchteter Gegenstand, so wird das Bild dieses Gegenstandes oder dieses Punktes sich auf unserer Netzhaut abmalen und wir werden den Eindruck noch eine zeitlang bewahren, nachdem die Lichtquelle bereits verschwunden ist. Hier hat unser Auge das Abbild eines Objekts in seinem statischen Zustand d. h. in der Ruhelage empfangen, und der Vorgang ist identisch mit dem, was geschieht, wenn wir mit dem Apparat die Photographie eines unbewegten Gegenstandes aufnehmen. Wenn aber der Lichtpunkt vor unseren Augen schnell seine Stelle wechselt, so wird uns ein Eindruck mehr zusammengesetzter Natur zu theil, der ebenfalls eine zeitlang im Auge nachbleibt, von dem Wege nämlich, den der Gegenstand im Raume beschrieben.

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Wenn ein, Kind ein glimmendes Hölzchen schwingt und sich am Anblick der Feuerschnur ergötzt, die sich anscheinend vor ihm durch die Luft schlingt, so thut es in Wirklichkeit nichts anderes, als auf seiner Netzhaut die Bahnlinie eines, leuchtenden Punktes zu photographiren; diese Bahnlinie freilich fällt nicht sehr lang aus, weil die Netzhaut nicht im Stande ist, den empfangenen Eindruck lange Zeit zu bewahren; die photographische Platte würde im gleichen Falle das vollständige und dauerhafte Abbild des gesammten Weges liefern, den der Lichtpunkt durchlaufen. Allein auch damit wäre noch keine vollständige Darstellung der Bewegung gegeben, da ja das Bild lediglich die nach einander folgenden Lagen darstellen würde, die der leuchtende Gegenstand eingenommen, ohne dabei die Dauer des Vorgangs zum Ausdruck zu bringen.

  • (Ursprünglich hatten wir unser Verfahren als Photochronographie bezeichnet. Da jedoch der internationale Photographen - Congress zu Paris 1889 bei Festsetzung der Terminologie für die verschiedenen Gebiete die, Benennung Chronophotographie adoptirt hat (vgl. Protokolle und Beschlüsse des Congresses p. 66), so soll fortan diese Entscheidung für uns massgebend sein. (Obiges Wort hat sich zwar in Deutschland noch nicht eingebürgert; in Ermangelung jedoch eines entsprechenden bei uns allgemein gebräuchlichen Ausdrucks ist in der Übertragung die Bezeichnungsweise des Originals beibehalten worden. Anmerk. d. Übers.)

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Paulinchen hört die Katzen nicht!

Das Hölzchen brennt gar lustig hell und licht,

Das flackert lustig, knistert laut,

Grad wie ihr's auf dem Bilde schaut.

Paulinchen aber freut sich sehr

Und sprang im Zimmer hin und her.