Da alle gütlichen Ermahnungen, aller Ernst des Richters [2], keinen Eindruck auf ihn machte, so mußte ein anderes Mittel diesen Eindruck erzeugen und erzeugte ihn wirklich. Es war nämlich die Vorrichtung getroffen worden, daß vor jede der drei zum Verhörzimmer führenden Thüren, vor die eine Wilds Vater, vor die andere seine Mutter und vor die dritte sein Bruder Leonhard, deren Anwesenheit in Heidelberg ihm unbekannt war, gestellt wurden. Da er nun immerfort läugnete, Eltern zu haben, oder einen jüngeren Bruder und dieses mit den höchsten Betheuerungen und heiligsten Schwüren bekräftigte, so öffnete sich, auf einen Schellenzug zugleich die drei Thüren - und schlossen sich einen Augenblick darauf. Andreas Wild war durch den Anblick erschüttert, faßte sich jedoch gleich wieder, und suchte der Frage: wer diese drei Menschen seyen? auszuweichen, bis die Schelle wiederholt gezogen wurde, um seinen Vater vorzuführen zu lassen; da erklärte er endlich, der alte Mann seye sein Vater, der Bub sein Bruder Leonhard und die Frau seine Mutter. Es wurde versucht, diese Stimmung des Inquisiten zu benutzen, um auch ein weiteres Geständniß des Straßenraubs von ihm zu erhalten; dieser Versuch mißlang aber; Veit Krähmer mußte ihm vorgestellt werden. Er verläugnete diesen nicht nur anfänglich, sondern suchte sogar ihn selbst wankend zu machen. Als aber Veit Krähmer standhaft bei seinen Angaben beharrte und ihn selbst, aus eigenem Antriebe, aufforderte, die Wahrheit anzugeben, und sich und ihn nicht länger aufzuhalten, da fing Andreas Wild an zu zagen und zu weinen, und ging dann vom hartnäckigen Läugnen plötzlich zum Geständnisse seines Antheils an dem Raubmord zwischen Laudenbach und Hemsbach. über. In einem weiteren Verhöre wurde er noch offenherziger, er bekannte zwar keine weiteren, von ihm verübten Verbrechen, wohl aber gestand er seine Bekanntschaft mit vielen Gaunern, seine Kenntniß der Gauner- oder sogenannter jenischen Sprache [1] und entdeckte, daß Manne Friedrich, ein weiterer Theilhaber am Raubmord zwischen Laudenbach und Hemsbach, unter dem angenommenen falschen Nahmen, Goldmann, zu Hanau verhaftet seye und daß die Beischläferin des Hölzerlips im Gefängnisse zu Hanau noch eine der den zwei Schweizer Kaufleuten auf der Bergstraße geraubten goldenen Uhren und eine goldene Karolin gehabt habe.
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[2] Der Richter und der Teufel
"In einer Stadt saß ein Mann, der hatte alle Kisten voll Geld und Gut, er selbst aber war voll aller Laster, so schlimm war er, daß es die Leute schier Wunders dünkte, daß ihn die Erde nicht verschlang. Dieser Mann war noch dazu ein Richter, das heißt, ein Richter, der aller Ungerechtigkeit voll war." Auszug aus Der Richter und der Teufel
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Es war eine Periode, wo 96 solcher verworfenen Geschöpfe zugleich in Heidelberg verhaftet waren. Solch eine Menge, welche täglich noch mehr anzuwachsen drohte, mußte die Hauptsache selbst aufhalten und so dem Hauptzwecke schaden; auch war es wirklich der Arbeit zu viel. Dieses wurde höchsten Orts eingesehen und darum in der Folge verordnet, da nur die an dem Raubmord zwischen Laudenbach und Hemsbach Antheil habenden Verbrecher und die in directer Verbindung stehenden wirklichen Räuber zu Heidelberg inquirirt alle andere eingefangen werdenden Vaganten aber einer zu diesem Ende besonders in Mannheim niedergesetzten Commission zur Untersuchung bergeben werden sollten.
Indessen war am 30ten May Abends Andreas Wild wirklich nach Heidelberg abgeliefert worden. Er wurde sogleich des folgenden Tages zum Verhöre vorgeführt und bei dieser Gelegenheit von seiner eigenen Mutter, unbemerkt von ihm, als ihr Sohn Andreas, von Veit Krähmer als Köhlers Andres anerkannt. Er selbst nannte sich Andreas Wild, läugnete aber, noch lebende Eltern zu haben. Beide, so sagte er, seyen gestorben, als er kaum zwei Jahre alt gewesen sey, er habe sie nicht gekannt, wisse nicht wer sie gewesen seyen und wie sie geheißen hätten; er habe nur einen Bruder am Leben, welcher älter als er seye und unterm Militair, wie er von herumziehenden Leuten gehört habe, diene, ohne daß er wisse - welchem Potentaten. Die bei ihm gefundenen geraubten Kleider behauptete er, von einem ihm unbekannten Juden in Aschaffenburg gekauft zu haben. Alle Ermahnung zur Wahrheit fruchteten nicht bei ihm, er wurde in seinen Kerker zurück gebracht. Vor dem nachmittägigen Verhöre erkannte ihn auch sein Vater für seinen Sohn und Leonhard Wild für seinen Bruder. Hatte Andreas Wild sich im vormittägigen Verhöre hartnäckig und frech benommen, so betrug er sich noch weit frecher und hartnäckiger im nachmittägigen, er beharrte bei Allem dem, was er Morgens angegeben hatte und fügte der Versicherung, da dieses die reine Wahrheit seye, die effronte Betheuerung bei, "und wenn er ein Wort gelogen habe, so wolle er für jedes dieser Worte 25 Prügel aushalten."
effronte =effronté=schamlos vgl. French/German
Der Inquist behauptete dem Beamten mit der beispiellosesten, muthwilligsten Frechheit in das Gesicht: er seye nie in Zwingenberg gewesen, forderte denselben im verhönendsten Tone auf, ihn ganz genau zu betrachten, indem man sich in nichts leichter irren könne,als in Menschengesichtern, und beharrte, trotz aller Vorstellungen und Ermahnungen, trotz aller Versicherungen des Beamten von Zwingenberg auf Ehre und Pflicht, daß er der dort entflohene Philipp Friederich Schütz sey, bei seinem boshaften Läugnen. Unter solchen Verhältnissen ließe sich von einer Konfrontation des Manne Friedrich mit Veit Krähmer und Andreas Wild, durchaus kein Erfolg versprechen. Es mußte zu andern Mitteln geschritten werden. Es wurde versucht, von dem Knaben des Manne Friedrich ein Geständniß zu erhalten, allein er läugnete frech und beharrlich, den Mann, welcher mit ihm und seiner Mutter zugleich nach Heidelberg geliefert worden war, (seinen Vater) zu kennen. Veit Krähmer wurde ihm vorgestellt, der Knabe verläugnete ihn, obschon er der Pathe seines jüngsten, nur wenige Monate alten Bruders ist; endlich aber mußte er, auf Krähmers dringende Ermahnungen, zugeben, daß dieser, und nicht, wie er vorgegeben hatte, ein armer, ihm unbekannter Bube, sein jüngstes Brüderchern in Katzenbach bei Strümpfelbronn, über die Taufe gehoben habe; doch beharrte er immer noch dabei, daß er den mit ihm transportirten Mann nicht kenne. Andreas Wild wurde ihm ebenfalls unterdas Gesicht gestellt; der Knabe beharre, auch auf Wilds Aussagen und Ermahnungen an ihn, bei seinem Läugnen.
Wild verdoppelte seine Aufforderungen zur Wahrheit an den Knaben, der Untersuchungsrichter that dasselbe, der Knabe verlor zwar sichtbar die Fassung, doch läugnete er fort und erst dann, als ihm, auf den Fall der Überweisung, mit körperlicher Züchtigung gedroht wurde, bekannte er, daß der mit ihm und seiner Mutter nach Heidelberg gebrachte Mann sein Vater seye, daß derselbe Friedrich heiße und daß seine Mutter ihn angewiesen habe, dieses zu verläugnen. So kräftig, so beharrlich, wird wohl schwerlich eine Anweisung der besten Eltern, zum Guten befolgt, wie der noch so junge Leonhard Wild und der Knabe der Hölzerlipsin und der des Schütz die Anweisung zum Bösen befolgten.
Es wurde sogleich durch Staffette dem Herrn Präfekten zu Hanau von diesen Angaben Nachricht erteilt, die erste fand sich gegründet und auch Manne Friedrich wurde später nach Heidelberg ausgeliefert.
Die Uhr (1) konnte aber noch nicht entdeckt werden. Die Hölzerlipsin läugnete und alle Visitationen waren fruchtlos.
Am 4ten Juni ließ sich Veit Krähmer zum Verhöre melden, und gab in diesem mehrere, teils von ihm selbst, theils von Anderen verübte, meistens bedeutende Verbrechen, an. Auch Andreas Wild schritt am nämlichen Tage zu ähnlichen Bekenntnisse. Beide setzten in späteren Verhören ihre Geständnisse fort und gaben zugleich noch sehr viele Häuser im Odenwalde, im Großherzogthume Frankfurt und andern benachbarten Gegenden an, deren Einwohner Kochem seyen, das heißt: die den Räubern und Dieben Aufenthalt gestatteten und die gestohlene Waaren aufbewahrten oder selbst kauften. Es wurde, und zwar wie die Folge zeigte, mit gutem Erfolge, sogleich von diesen Entdeckungen den betreffenden Behörden Nachricht gegeben, auch die Signalements der weiter genannten Räuber und Diebe aufgenommen und in alle benachbarten Staaten versendet.
Inzwischen war Manne Friedrich mit seiner Frau und seinem 7jährigen Buben von Hanau in Heidelberg angelangt. Er wurde von dem Veit Krähmer und Andreas Wild anerkannt: Er selbst nannte sich aber in seinem ersten Verhöre Johannes Goldmann und gab vor, aus Magdeburg gebürtig und ledig zu seyen, und die Gegend bei Heidelberg noch nie gesehen zu haben. Zufällig war am Tage dieses Verhörs der Beamte von Zwingenberg in Heidelberg anwesend, er erkannte in dem von ihm, unbemerkt von diesem, besichtigten Manne Friederich, eben jenen Räuber, welcher in Zwingenberg, unter dem Nahmen Phillipp Friederich Schütz, eingelegen hatte und dort entflohen war. Man glaubte, der Anblick des Beamten von Zwingenberg werde den Manne Friederich erschüttern, der der Beamte selbst hoffte dieses, allein man hatte sich beiderseits geirrt.
1 "But when the Rabbit actually TOOK A WATCH OUT OF ITS WAISTCOAT- POCKET, and looked at it, and then hurried on, Alice started to her feet, for it flashed across her mind that she had never before see a rabbit with either a waistcoat-pocket, or a watch to take out of it, and burning with curiosity, she ran across the field after it, and fortunately was just in time to see it pop down a large rabbit-hole under the hedge."
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Das Großherzoglich Hessische Amt Steinheim hatte in einer dahin zum Weiterschaffen auf dem Schub von Hanau gebrachten Weibsperson, die Concubine des Hölzerlips erkannt und dieses nach Heidelberg eröffnet. Ihre Auslieferung wurde verlangt und erfolgte. Sie nannte sich Spitzin; ihr 7jähriger bucklicher Bube nannte sich Spitz. Beide verläugneten den Hölzerlips und als Veit Krähmer dem Buben ins Gesicht behauptete, daß er ihn kenne und daß Hölzerlips sein Vater sey, hatte er zum Abscheu des Untersuchungsrichters, die unerhörte Frechheit, dem Krähmer in den schmutzigsten, pöbelhaftesten Ausdrücken zu sagen: er habe seine Mutter fleischlich brauchen wollen, und weil ihm dieses nicht gestattet worden seye, so spreche er aus Feindschaft gegen sie. Selbst der von einem Gauner gezeugte, unter Gaunern erzogene Veit Krähmer war wie versteinert ob solcher Frechheit: Nur das, was wir in der Folge von der Mutter noch hören werden, kann es begreiflich machen, daß dieser Bube zu solchem abscheulichen Benehmen, wie er in der Folge bekannte, wirklich von seiner eigenen Mutter veranlaßt, daß ihm von dieser die kalte Frechheit, die beispiellose Bosheit eingepflanzt worden seye, mit welcher er sich vor Gericht benahm.
Die erlassenen Steckbriefe, die rastlosen Bemühungen des Neckarkreis-Directorii, und die ausgezeichnet thätigen Mitwirkungen aller benachbarten höheren und niederen Behörden, hatten zur Folge, daß überall eine Menge Vagabunden eingezogen und nach Heidelberg geliefert wurden. Die Arbeit der untersuchenden Behörde wurde dadurch ganz außerordentlich vermehrt und erschwert, ohne das dieses Einfangen für die Hauptsache selbst einen gedeihlichen Erfolg lieferte; immer aber erzeugte es das Gute, daß das Gesindel aufgeschreckt und durch Angst getrieben, gezwungen wurde, ihre bisherigen Schlupfwinkel im Odenwald, im Spessart, im Fuldischen und in der Wetterau vielleicht auf lange Zeit zu verlassen. Man umgeht hier die Aufzählung der einzelnen Auftritte, welche diese Einfangung erzeugte und die Benennung der Personen, welche sie traf; nur das will man, um die Leser durch einen Zug von der gänzlichen Verdorbenheit dieser Menschenklasse zu überzeugen, flüchtig anführen, daß sich darunter eine Mutter befand, welche mit ihrem eigenen 7jährigen Knaben im Kerker Unzucht trieb.
Lange kämpfte noch die Mutter; endlich jedoch bekannte auch sie, einen Sohn Andreas zu haben und suchte ihr Läugnen, so wie ihr Mann, zu entschuldigen. Beide wollten von dem Antheile ihres Sohnes Andreas an dem Raubmord zwischen Laudenbach und Hemsbach nichts wissen. Beide beharrten bei dem, was sie von ihrer Herkunft und ihren sonstigen Verhältnissen angegeben hatten, so höchst unwahrscheinlich und offenbar falsch auch Manches darin war. Der Verdacht, daß Johann Wild ein alter Verbrecher, ein bedeutendes Mitglied einer früheren Räuberbande gewesen seye, stieg in jedem Verhör, und wurde durch seine Physiognomie und sein ganzes Betragen noch mehr bestärkt. Noch fehlte es aber an näheren Mitteln, die Wahrheit zu erforschen, denn das Urtheilen nach den Signalements alleine, fand man zu gewagt; und so mußte denn das Weitere noch ausgesetzt und von Zeit und Zufall nähere Entdeckung gehofft werden.
Kaum war Andreas Wild zum zweitenmal von seinen Eltern in Heidelberg gezeugt und geboren, so langte schon des andern Tages von dem Großherzoglich Frankfurtischen Präfekten zu Hanau, Freiherrn von der Tann, welcher sich auf die ausgezeichnetste Weise um die schnelle und glückliche Fortsetzung dieser Untersuchung verdient gemacht und so wie der Herr Oberpolizeidirector von Itzstein in Frankfurt, der Untersuchungsbehörde in Heidelberg die zuvorkommensten Dienstgefälligkeiten erwiesen hat, die Nachricht ein, daß dort ein Pursch eingebracht worden seye, welcher der signalisirte Köhlers Andres zu seyn scheine, zugleich überbrachte der mit dem Schreiben von Hanau abgeschickte expresse Bote dessen Kleidung und sie wurde von dem arretirten Veit Krähmer für die des Köhler Andres, zugleich aber auch für den Schweizer Kaufleuten geraubt (was später Herr Hanhart bestätigte), anerkannt.
In den mit diesem Johann Wild und seiner Frau vorgenommenen Verhören zeigten sich beide in höchsten Grade verschmitzt, verriethen so viele Gewandheit und wußten dem Untersuchungsrichter so sehr alle Anlehnungs- und Verbindungspunkte in der Inquistition zu erschweren, daß es ein Leichtes war, in ihnen alte, völlig eingeweithe Gauner zu erkennen, ohne ihnen jedoch von irgend einer Seite beikommen zu können. Auch der 7jährige Bub derselben Leonhard, benahm sich eben so und läugnete so hartnäckig, einen Bruder Nahmens Andres zu kennen oder gehabt zu haben. Bei Leuten dieser Art, welche keine bleibende Stätte haben, täglich in andern Hütten, oder Schopfen, oder im Freien hausen, fällt es sehr schwer, irgend einen Beweis über ihre Familien-Verhältnisse aufzubringen. Doch gelang es endlich, nach lange vergebener Mühe und fruchtlosem Versuche, Widersprüche in den Angaben der Wildischen Eheleute zu erhalten, welche gegen sie benutzt werden könnten, und mehrere unbescholtene Männer auszukundschaften, in deren Häusern Wild mit den Seinigen gelegen hatte, deren einer bestimmt behauptete, daß derselbe einen Sohn, Nahmens Andres habe. Der alte Wild unterlag bei der, mit aller Vorsicht zwischen ihm und jenen Männern bewirkten Confrontation und bekannte, einen Sohn, Nahmens Andres zu haben, fügte aber zugleich die Entschuldigung bei, er habe um deswillen nichts von ihm wissen wollen, weil er ein unfolgsamer Bub seye, der in der Welt herum laufe. Schlechte Streiche wisse er jedoch nicht von ihm. Nach dem Vater bekannte auch der junge Leonhard Wild, einen Bruder Nahmens Andres zu haben, und entschuldigte sein früheres Läugnen lediglich mit der frechen Behauptung: er habe nicht daran gedacht.